• Start
  • FAQ
  • Zitate
  • Beiträge
    • Bücher
    • Blog
    • Publikationen
  • Stellungnahmen

Wo stand Steiner politisch?

In die üblichen Kategorien war er kaum einzuordnen. Zeitweise nannte er sich einen „individualistischen Anarchisten“. Über Jahre unterrichtete Steiner auch an der stramm sozialistischen Arbeiterbildungsschule in Berlin.

Aber von den traditionellen sozialistischen Konzepten unterschied ihn doch viel. Vor allem hielt er deren Fixierung auf zentrale, staatliche Lösungen für grundfalsch. Unserem Zeitalter mit dem in allen Menschen lebenden Verlangen nach Individualität und Freiheit sei das nicht mehr angemessen. Statt von staatlichen Großsystemen her zu denken, müsse – umgekehrt – der Ausgangspunkt immer die freie Entfaltung der Menschen sein und die Frage, wie von hier aus Gemeinschaft entstehen kann.

An diesem Punkt kann die Anthroposophie leicht missverstanden werden, so als liefe ihre Orientierung am Individuum auf eine neoliberale Egoistenwelt hinaus, in der jeder seinen Vorteil sucht. Das Gegenteil ist der Fall. Solche Egoismen sind nur Ausdruck unerfüllter, zu kurz gekommener Individuen. Wo sich Menschen wirklich in ihrem Wesen und Sein anerkannt fühlen und entwickeln können, werden sie sich einander öffnen und zuwenden. Vielleicht liegt in diesem Gedanken die tiefste Vertrauensdimension der Anthroposophie: Freie Entfaltung wird die Menschen nicht auseinandertreiben, sondern zusammenführen. Sie wirkt, wie Steiner wieder und wieder ausführte, nicht antisozial, sondern sozial.

Das ist auch der Grund, warum er ein „freies Geistesleben“ für so unermesslich wichtig hielt, also eine gesellschaftliche Atmosphäre, in der sich alles Menschliche möglichst frei ausdrücken kann und in der sich insbesondere alle Gesichtspunkte der Erkenntnis frei artikulieren können, unbeeinflusst durch staatliche Vorgaben oder wirtschaftliche Interessen.

Die staatliche Ebene wäre dann nicht („anarchistisch“) geradezu abzuschaffen, aber auf das Nötigste zu beschränken, ohne die heutige, immer tiefer ins Leben der Menschen eingreifende Regulierungstendenz; und auch ohne den ideologischen Überbau an Nationalismus, der für neuzeitliche Staaten typisch ist.

Im Wirtschaftlichen wiederum setzte sich Steiner für assoziative Formen ein, die der unternehmerischen Initiative großen Raum lassen, aber Machtkonzentrationen und Abhängigkeitsverhältnisse verhindern, wie sie heute überall herrschen.

Ein freies Geistesleben, eine nüchterne Ordnung der politisch-rechtlichen Ebene und eine solidarisch gestaltete Wirtschaft – das nannte Steiner „soziale Dreigliederung“. Es ist – aus anthroposophischer Sicht – die noch kaum erkannte, aber unserer Epoche angemessene Weise, eine menschliche Gesellschaft zu gestalten.

—

Wolfgang Müller

Übersicht

© ANTHROPOSOPHISCHE GESELLSCHAFT IN DEUTSCHLAND

KontaktDatenschutzImpressum