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Was ist dran an den Nationalismus-Vorwürfen gegen Steiner?

Nichts. Da werden in der Regel zwei Dinge verwechselt. Das eine: Ja, Steiner war überzeugt, dass die mitteleuropäische und gerade auch die deutsche Kultur eine Art Aufgabe in der Welt habe. Mit ihrem Zug ins Geistige, wie er etwa in großen philosophischen Vorstößen zum Ausdruck kam, mit ihrer Innerlichkeit und gelegentlich auch Weltfremdheit, hätte sie der notwendige Gegenpol zu den pragmatisch-nüchternen Talenten insbesondere der angelsächsischen Welt sein können. Tatsächlich lebten ja die Deutschen, während die Briten schon ihr Weltreich aufbauten, noch in verschlafenen kleinen Fürstentümern. Letztlich aber, so Steiner, hätten die Deutschen ihre eigentliche, tiefere Rolle nicht erkannt und ergriffen und seien (nach der Reichseinigung 1871) ebenfalls auf den Macht-Trip gegangen. „Die Deutschen sind daran zugrunde gegangen, dass sie es auch mitmachen wollten mit dem Materialismus, und weil sie kein Talent haben zum Materialismus.“ So Steiner schon mehr als ein Jahrzehnt vor Hitlers Machtübernahme. Er hatte eben einen Blick dafür, dass ein Verkennen der eigenen Aufgabe in einen inneren Niedergang führt; und letztlich auch in die äußere Katastrophe, die mit dem Dritten Reich dann nach seinem Tod eintrat.

Damit wird also die andere Seite deutlich: So bedeutsam Steiner den geistigen Impuls aus der deutschen Kultur fand – als „Sauerteig“ für Europa –, so verhängnisvoll erschien ihm dessen machtstaatliche Ausprägung. Er war – anders als seine Gegner fantasieren – ein scharfer Kritiker eines deutschen Nationalismus.

Noch grundsätzlicher: Steiner wandte sich überhaupt gegen ein (für Nationalisten typisches) Staatsverständnis auf ethnisch-„völkischer“ Grundlage. Dass es auch anders geht, hatte er selbst im alten Österreich-Ungarn noch erlebt, wo zahlreiche Völker mit einem Dutzend unterschiedlicher Sprachen unter einem staatlichen Dach lebten. Dieses passable und vergleichsweise tolerante Modell wurde gerade durch den aufkommenden Nationalismus blutig zerstört: Jetzt beanspruchte jedes Volk „seinen“ Staat, was angesichts gemischter Bevölkerungen nichts anderes bedeutet als Krieg und Vertreibung (bis hin zu den Jugoslawien-Kriegen der 1990er-Jahre).

Steiner trat demgegenüber für ein Staatsverständnis ein, das sich – von ethnischen Zugehörigkeiten gelöst – auf ein freies und gleiches Zusammenleben der Menschen gründet. Zukunftsweisend! In einer globalisierten Welt sind humane Gesellschaften gar nicht anders möglich.

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Wolfgang Müller

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