In der Tat findet man in einzelnen seiner etwa sechstausend Vorträge (ca. 89.000 Druckseiten) Passagen, etwa über Afrikaner oder „Indianer“, die klar abwertend klingen. Und grundsätzlich war Steiner tatsächlich überzeugt, dass die einzelnen Völker und Kulturen Blütezeiten und Niedergänge erleben, dass sie durchaus unterschiedliche Dispositionen haben und im Lauf der Menschheitsgeschichte entsprechend unterschiedliche Beiträge leisten können, etwa wie Stimmen in einem Konzert. Heute gilt eine solche Sichtweise weithin als politisch unkorrekt und potentiell diskriminierend. Er selbst hielt sie schlicht für realistisch und wandte sich schon damals gegen das, was er als leere Gleichheitsvorstellungen wahrnahm, „Abstraktionen“, wie er oft sagte.
Zu ergänzen ist, dass Steiner immer und von Grund auf vom Individuum her dachte, dass er also – bei allem Interesse an ethnischen und kulturellen Unterschieden – niemals einzelne Menschen auf solche Kategorien festlegte, so wie es für Rassisten damals und heute typisch ist. Denn eines der Hauptthemen von Steiner ist die bewusste Emanzipation des einzelnen Menschen aus seinen Prägungen durch Abstammung und Sozialisation.
Zu ergänzen ist außerdem, dass Steiners Reinkarnationsdenken schlecht zu einem rassistischen Weltbild passt. Der Gedanke, zu anderen Zeiten in anderen Völkern verkörpert zu sein, wäre einem Rassisten ein Gräuel.
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Wolfgang Müller